Heft 1/2009: Inklusion
Editorial
Liebe Leserin, lieber Leser,
Pfullingen, eine Kleinstadt am Rande der Schwäbischen Alb. Pfullingen, die Stadt in der bei Fritz Keppler in der Fotosatz-Werkstatt die »Orientierung« viermal pro Jahr »gebastelt« wird. Pfullingen, eine Stadt wie viele andere.
Provokative Frage: Was würde passieren, wenn die Pfullinger Bürgerinnen und Bürger samt ihrer Verwaltung beschließen würden, dass Pfullingen eine »Stadt der Inklusion« werden würde?
- Die Stadtbücherei wäre barrierefrei und hätte auch Bücher, CDs und DVDs in einfacher Sprache. Und auf Türkisch. Und auf Russisch. Alle Beschriftungen wären groß und kontrastreich, parallel dazu in Blindenschrift. Bücher und Verzeichnisse wären für Rollifahrer erreichbar.
- Alle Pfullinger Schulen wären offen für alle Pfullinger Schülerinnen und Schüler, egal, ob sie hochbegabt, klassisches Mittelfeld oder geistig behindert sind. Und natürlich mit angemessenen Förderangeboten. Und mit entsprechendem Know-how, Materialien und Fachkräften ausgestattet.
- Das Rathaus wäre ein Service-Center für alle Bürger, auch für Kinder.
- Die Bierkneipe um die Ecke wäre ebenerdig erreichbar.
- Das Beiblatt zur Einkommensteuererklärung würden sowohl ausländische Bürger als auch solche mit Lernbeeinträchtigungen verstehen.
- Die Wohnangebote für Menschen mit Behinderungen wären dezentral über ganz Pfullingen verteilt, jede/r suchte sich das geeignete aus und würde dort toll begleitet. Je nach den eigenen Bedürfnissen. Und voll finanziert.
- Die Unterstützung für Leute mit Hartz IV wäre ein besonderes Anliegen aller Bürger.
- Der CAP-Markt (siehe Seite 49) wäre das soziale und kommunikative Zentrum der Stadt.
Aber hallo! Wer will denn so was? Alberne Fantastereien? Unbezahlbar? Oder ist vielleicht doch was dran? Die UN-Deklaration zum Beispiel, die seit 1.1. 2009 auch in Deutschland in Kraft ist (Seite 17), sieht das so:
Die Vertragsstaaten erkennen an,
- dass alle Menschen vor dem Gesetz gleich sind, vom Gesetz gleich zu behandeln sind und ohne Diskriminierung Anspruch auf gleichen Schutz durch das Gesetz und gleiche Vorteile durch das Gesetz haben.
- dass behinderte Menschen gleichberechtigt die Möglichkeit haben, ihren Wohnsitz zu wählen und zu entscheiden, wo und mit wem sie leben, und nicht verpflichtet sind, in besonderen Wohnformen zu leben.
- dass behinderte Menschen gleichberechtigt mit anderen in der Gemeinschaft, in der sie leben, Zugang zu einem integrativen, hochwertigen und unentgeltlichen Grundschulunterricht und einer entsprechenden Sekundarschulbildung haben.
Und nun sind Sie dran. Und vielleicht auch die Pfullinger Bürgerinnen und Bürger.
Viele Nachdenklichkeiten wünschen Ihnen
Friedrich Fabriz
Martin Herrlich
Editorial und Inhaltsverezeichnis (PDF-Datei, 126 kb)
Autoren dieser Ausgabe
Bauer, Uwe, Projekt ZAC: Zukunft, Aufbruch, Chance, Stiftung Haus Lindenhof, Schwäbisch Gemünd, www.haus-lindenhof.de
Boban, Ines, elf Jahre Lehrerin in Integrationsklassen einer Hamburger Gesamtschule, Mitarbeit in der Wissenschaftlichen Begleitung der Integrationsklassen der Sekundarstufe I und Fortbildungstätigkeit. Uni Halle. www.paedagogik.uni-halle.de
Conty, Michael, Diplom-Psychologe, Berufliche Tätigkeit in der Behindertenhilfe, Wohnungslosenhilfe und Sozialpsychiatrie. Vorstand der v. Bodelschwinghschen Anstalten Bethel, BeB Vorsitzender. Seit 2007 Mitglied der Diakonischen Konferenz und des Diakonischen Rates des Diakonischen Werks der EKD. www.bethel.de
Dillenberg, Rainer, Geschäftsführer des Lebenshilfe Landesverbandes Schleswig-Holstein und Projektleiter des Inklusionsbüros www.alle-inklusive.de
Dworski, Anja, Lebenshilfe Landesverband Schleswig Holstein, www.alle-inklusive.de
Fietkau, Sandra, Dipl. Sozialpädagogin (FH), leitet zusammen mit Stephan Kurzenberger das Projekt BRIDGE beim Lebenshilfe Landesverband Baden-Württemberg in Stuttgart www.bridge-lebenshilfe.de
Fuss, Ursula, Dipl. Ing. Ursula Fuss, c.f.Architekten BDA, Frankfurt am Main, www.con-fuss.de
Ganten, Claudia, Evangelische Stiftung Alsterdorf, Hamburg
Grantz-Hild, Cornelia, Diplom Psychologin, Wohnen für Menschen mit Behinderungen in Metzingen (WIM)
Häcker, Ulrike, Erzieherin/Diplom Sozialjuristin, Stabstellenmitarbeiterin in den von Bodelschwinghschen Anstalten Bethel, Stiftungsbereich Behindertenhilfe und Referentin im Bundesverband evangelische Behindertenhilfe (BeB)
Hahn, Martin, Projekt ZAC: Zukunft, Aufbruch, Chance, Stiftung Haus Lindenhof, Schwäbisch Gemünd, www.haus-lindenhof.de
Heckmann, Thomas, CAP GDW SÜD, Genossenschaft der Werkstätten für behinderte Menschen Süd eG, Geschäftsbereich Consumer, Sindelfingen. www.cap-markt.de
Hinz, Prof. Dr. Andreas, Uni Halle, Sonderpädagoge, Mitglied der wissenschaftlichen Begleitungen der Hamburger Integrationsversuche im Grundschulbereich (Integrationsklassen bis 1991, Integrative Grundschule bis 1998). www.paedagogik.uni-halle.de
Jakubowski, Thomas, Pfarrer, Behindertenseelsorger, Diakonisches Werk Speyer
Kurzenberger, Stephan, Dipl. Sozialpädagoge (BA) und Mediengestalter, leitet zusammen mit Sandra Fietkau das Projekt BRIDGE beim Lebenshilfe Landesverband Baden-Württemberg in Stuttgart (http://www.bridge-lebenshilfe.de).
Maas, Theodorus, Vorstand der Evangelischen Stiftung Alsterdorf, Hamburg
Markowetz, Prof. Dr. Reinhard, Professor an der Katholischen Fachhochschule Freiburg, Studiengangleiter Heilpädagogik/Inclusive Education
Maurer, Hans-Christoph, Vorstand der Nieder Ramstädter Diakonie, Mühltal
Palmer, Boris, Oberbürgermeister der Universitätsstadt Tübingen und Bewohner des Französischen Viertels
Schablon, Dr. Kai-Uwe, geb. 1964, Dipl. Pädagoge, Dipl. Sozialpädagoge und Heilerzieher.
Schweiker, Dr. Wolfhard, Pfarrer und Sonderpädagoge. Dozent am Pädagogisch-Theologischen Zentrum Stuttgart
Tolmein, Dr. Oliver, ist Gründungspartner der Kanzlei Menschen und Rechte/Hamburg.
Tripp, Sabine, Mitglied Pädagogische Leitung, Maria Montessori-Schule Freiburg
Wenzel, Rainer, Diplom-Psychologe, Mitarbeitervertretung, Diakonissen Speyer-Mannheim, www.diakonissen.de
Wurth, Christof, Sozialdiakon und Sozialarbeiter. Tätig an der Bildungs- und Erholungsstätte Langau e.V. als Referent für Offene Behindertenarbeit. Steingaden, www.langau.de
Autorenverzeichnis und Impressum (PDF-Datei, 88 kb)
Leseproben
ZAC - Zukunft, Aufbruch, Chance
Martin Hahn, Uwe Bauer, Projekt ZAC Stiftung Haus Lindenhof, Schwäbisch Hall
ZAC - ein Projekt der Stiftung Haus Lindenhof, Schwäbisch Gmünd. Es geht um die Suche nach neuen individuellen Wohnformen für Menschen mit Behinderung. Ziele sind, Eigenverantwortung und Selbstbewusstsein zu stärken aber auch Teilhabe am normalen gesellschaftlichen Leben zu ermöglichen.Â
ZAC - Zukunft, Aufbruch, Chance - Leseprobe (PDF-Datei, 235 kb)
Teil des Ganzen
Hans-Christoph Maurer, Vorstand Nieder-Ramstädter Diakonie, Mühltal
Die Nieder-Ramstädter Diakonie (NRD) hat vor einigen Jahren den Beschluss gefasst, alle großen Wohnhäuser auf dem Kerngelände in Mühltal/Nieder-Ramstadt zu schließen und dafür kleine Wohnprojekte in den Einzugsgebieten mit jeweils höchstens 20 Plätzen (eher deutlich weniger) zu schaffen. Insgesamt werden ca. 400 Wohnplätze »regionalisiert«. Sind »Auflösung der Anstalt« und die Regionalisierung aller Angebote notwendige Schritte zur Inklusion? Marlene Broeckers befragt NRDVorstand Hans-Christoph Maurer.